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GEOFFROY, (oder GEFFROY), JACQUES ADRIEN -: 'Philosophia Data A Domino Geoffroy, Philosophiae professore In Collegio Mazarinae Et scripta A francisco De Lusseux Anno Domini MDCCXXV'. Vorlesungsmitschrift in lateinischer Sprache, braune Tinte auf Papier, gut lesbare Schrift, Paris, 1725. Koll.: 699 S. (bis Seite 151 von alter Hand, ab Seite 152 von neuerer Hand paginiert; die S. 147 - 160, 170 - 171, 553, 642 und 695 - 696 unbeschrieben, Index auf S. 697 - 699), Blattgröße 21,3 x 16 cm. Lederband der Zeit mit reicher Rückenvergoldung und goldgeprägtem Rückenschild ('Logica'), dreiseitigem Rotschnitt, Stehkantenvergoldung, marmorierten Vorsätzen und blauem Lesebändchen (Kapitale mit kleineren Fehlstellen, Ecken berieben), gr. 8vo.

"Umfangreiche Mitschrift des ersten, die Logik umfassenden, Teils des zweijährigen Philosophiekurses am Kolleg Mazarin in Paris. Enthält nach der Einführung in den Gesamtkurs (S. 3 - 51), in der dargelegt wird, was Philosophie ist, wozu sie dient und was sie im einzelnen untersucht, den Hauptteil, die Logik, verstanden nicht als bloße Analyse der formalen Logik, sondern im klassischen aristotelischen Sinne als der methodische Schlüssel zur Erkenntnis der Wahrheit und damit letzlich Gottes. Philosophie verstand sich als die Magd der Theologie und das Institut Mazarin war der theologischen Fakultät der Sorbonne unterstellt. Methodisch gesehen ist der Kurs in gut scholastischer Tradition in Kapitel und Unterkapitel, in Einwände, deren Begründung und Rückweisung, in Beispiele und Zusammenfassungen gegliedert. Die zwei Hauptteile bestehen derart aus der 'ars cogitandi' (S. 52 - 600) und einem Appendix (S. 601 - 694), in dem es um 'de ipsa logica' geht, das heißt um eine Erörterung ihres Stellenwertes für die Erkenntnis. Im ersten Hauptteil werden die einzelnen Elemente des Denkens und der Ratio in vier zentralen Kapiteln vorgestellt und hinterfragt : 1- de perceptione (57 - 175), 2- de judiciis et propositione (175 - 397), 3- de vaticinatione et argumentatione (397 - 554), und 4- de methodo inveniendae et manifestandae veritatis (554 - 600). Ziel und Nutzen der ebenso kunstvollen wie ausführlichen Erörterungen lassen sich in drei Aussagen zusammenfassen, die gleich zu Anfang gemacht werden: ""Homini necessarium est recte cogitare"" (52) - der Mensch muß richtig denken (lernen); ""ea est logica quae docet modum recte utendi ratione"" (53) - es ist die Logik, die uns lehrt, die Vernunft richtig zu gebrauchen; und ""commotione facta in cerebro sic mens cognoscit deum, se ipsam"" (59) - indem man sein (so durch die Logik geleitetes) Gehirn anstrengt, erkennt man Gott und sich selbst. Der Anhang behandelt dann die Frage, ob die Logik eine Wissenschaft ist - eine rhetorische Frage natürlich, denn: ""logica est scientia"" (602) und nicht etwa nur ein reines methodisches Hilfsmittel oder Instrument. So wenig überraschend die Mitschrift inhaltlich und formal auf den ersten Blick ist, so stellt sich doch die Frage, ob Geoffroy seinen Schülern in seiner Vorlesung bestimmte intellektuelle Vorlieben oder Abneigungen vermittelte. Denn dass die Professoren in den Kollegien gewisse Freiheiten in der Darstellung des Stoffes hatten und bisweilen geradezu ein persönlicher Eklektizismus in der Lehre herrschte ist in der Forschung heute unbestritten (vergl. Brockliss, French Higher Education in the 16th and 17th Century, 1987). In einer 2005 publizierten Untersuchung von Alain Firode, in der der gesamte Philosophiekurs von Adrien Geoffroy auf seine ideologischen Wurzeln, auf die darin zum Ausdruck kommenden Überzeugungen, Einflüsse und Lehren, sowie auf seine theologischen, philosophischen und wissenschaftlichen Grundlagen untersucht wird, kommt der Autor zu folgendem Ergebnis: ""Comme la majeure partie des manuels, le cours de Geoffroy ne constitute donc pas une oeuvre philosophique ou scientifique originale. Il s'agit ... d'une construction composite où se croisent de facon plus ou moins cohérente théologie scolastique, philosophie et physique cartésiennes, philosophie malbranchienne et physique expérimentale"" (S. 15). Firodes Interesse an Geoffroys Kurs ergab sich aus der Frage, welchen Unterricht D'Alembert während seiner Ausbildung auf dem Kolleg Mazarin (1733 - 1735) genossen hatte: ""d'analyser le contenu de la formation recue par D'Alembert au collège Mazarin ... et conduit ... à s'interroger sur son apport éventuel dans l'itinéraire intellectuel du philosophe."" (S. 1). D'Alemberts Lehrer war in diesen Jahren eben jener Adrien Geoffroy (oder Geffroy) von dessen 13 Jahre früher gehaltenem Kurs uns hier die Mitschrift vorliegt. Der große Aufklärer D'Alembert hat sich später über seinen Lehrer recht abfällig geäußert (vergl. Firode et Compère, Un extrait du cours de Geffroy, professeur de philosophie de d'Alembert, S. 2). Da die einzig nachweisbare gedruckte Arbeit von Geoffroy eine Cicero-Ausgabe von 1725 ist, wurde für Firode eine in der Bibliothek von Brive erhaltene Mitschrift des Philosophiekurses von 1731 - 1733 zur einzigen Quelle. Da D'Alembert das Kolleg vor dieser Zeit besuchte und Firode kein weiteres Manuskript zur Verfügung stand, konnte er lediglich ""raisonnablement estimer qu'Adrien Geoffroy n'a pas significativement changé le contenu de son enseignement"" (S. 2). Durch einen Vergleich zahlreicher Stellen, die sich auf unseren Teil des Kurses beziehen, läßt sich mit Sicherheit sagen, daß beide Mitschriften, die in der Bibliothek in Brive und die uns hier vorliegende, auf einen gemeinsamen Urtext von Geoffroy zurückgehen, den er seinen Schülern mehr oder weniger diktierte. (Anm.3 bei Firode entspricht dem Satz S. 8 unseres Ms; Anm. 4 ist identisch S. 45; Anm. 5 identisch S. 47; Anm. 8 identisch S. 17, Zeile 7; Anm. 25 identisch S. 61). Wer war nun dieser Jacques Adrien Geffroy ? Zunächst, wohl seit 1718, Lehrer am 1688 gegründeten Kolleg Mazarin. 1741 wurde er wegen seiner jansenistischen Neigungen entlassen. Nach einem Intermezzo als Katechist emigrierte er nach Holland, wo er 1752 starb; ""un professeur, certes singulier dans ses options théologico-politiques, mais sans inventivité intellectuelle particulière"", wie Firode und Compère bemerken, aber eben als Lehrer D'Alemberts für uns heute noch ausgesprochen interessant. - Von wenigen Tintenflecken abgesehen, sehr gut erhalten; S. 59 und 118 in der Zählung übersprungen, 2 S. nach 443 nicht gezählt."
Preis: 2600 EUR