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PHYSIK -: 'Experi(mens) de Physique' (Rückentitel). Anonyme französische Handschrift vom Anfang des 18. Jahrhunderts, in brauner Tinte auf Papier - wohl von einer Hand, das Schriftbild ändert sich aber deutlich auf Seite 81von einer platzgreifenden, großzügigen Schrift, in eine platzsparende, kompaktere Variante, die aber immer noch sehr gut lesbar ist. 236 S. mit 2 kl. Zeichnungen im Text, (2) weiße Bl., dunkelbrauner Lederband der Zeit auf fünf unechten Bünden mit reicher Rückenvergoldung, goldgeprägtem Rückenschild und dreiseitigem Rotschnitt (Rücken mit Fehlstellen, Kanten stellenweise berieben), 24 x 18,5 cm.

"Naturwissenschaftliches Lehrbuch in Fragen und Antworten, wobei die verschiedenen Themen durch jeweils bis zu 20 Fragen strukturiert und abgehandelt werden. Die Handschrift beginnt mit dem Phänomen der Bewegung (S. 1 - 13), es folgen Fragen zur Qualität von Licht und Farbe (""En quoy consiste l'eclat d'un diamant"", oder ""Pour quoy y a t'il des couleurs qui blessent l'oeil, et d'autres qui luy font plaisir ?"" (S. 13 - 30); Fragen zur Optik (S. 30 - 45), zur Astronomie (S. 45 - 75) und zum Wasser (S. 75 - 83) - hier mit Themen wie ""D'ou vient la blancheur de la neige ?"" (S. 81). Bevor die Physik verlassen wird, gehen 7 Fragen dem Phänomen 'Eis' nach : Wie entsteht Eis ? Warum nimmt das Wasser an Volumen zu, wenn es gefriert ? Warum behalten gefrorene Früchte ihren Geschmack ? Wie entsteht Glatteis ? Wie erklärt man Raureif ? Dem schließt sich die Themenkomplexe der Botanik (S. 86 - 102), des 'corps humain' (S. 102 -128), der Chemie (S. 129 - 150) und der 'drogues' (S. 150 - 156) an. Ab 157 werden im Supplement ""übersehene Fragen"" aus den genannten, aber auch aus neuen Gebieten behandelt (Gewicht, Feuer, Luft, Thermometer und Akustik etc.). Die Fragen sind zumeist didaktisch knapp formuliert, während die Antworten bis zu zwei Seiten umfassen können. Zahlreiche Fragen beziehen sich auf Alltagsphänomene : warum verwenden manche Menschen konkave, andere konvexe Brillengläser ? (37). Warum sieht man tagsüber die Sterne nicht ? (S. 38). Warum schneinen sich parallele Linien am Horizont zu schneiden ? (S. 39 f.) Wie entstehen warme Quellen ? (S. 78) Wie viele Arten einen Kamin zu löschen gibt es ? (S. 191 f.) Wie entsteht Nebel ? (S. 226) Die Beantwortung der Fragen bezieht sich stellenweise auf die naturwissenschaftliche Literatur der Zeit; erwähnt werden Lemery (S. 99), Huygens (S. 84), De la Hire (S. 85), der Duc d'Orleans (S. 100). Stellenweise nimmt der Text auch direkten Bezug auf Abbildungen in - allerdings nicht einzeln ausgewiesenen - Lehrbüchern. Insgesamt atmet der gesamte Text den Geist der modernen, experimentell orientierten Naturwissenschaften, so wird versichert, daß die Beschäftigung mit der Chemie heute nicht mehr die Inquisition auf den Plan rufe (S. 130), oder der Versuch beschrieben wird, den Blutkreislauf zweier Hunde miteinander zu verbinden (S. 118). Wobei zahlreiche Antworten zeigen, daß der durchaus gebildete und belesene Autor mit der versuchten Erklärung an die Grenzen seines Wissens stößt. Darüberhinaus weist die Auswahl der behandelten Themen keine wissenschaftliche Stringenz auf. Alle genannten Merkmale legen die Vermutung nahe, daß es sich bei dem Manuskript um die Arbeit eines Privat-, oder Hauslehrers handelt. Für ein Lehrbuch in der Zusammenstellung zu beliebig, umfasst die Arbeit ganz offensichtlich den Kanon immer wieder gestellter und beantworteter Fragen eines naturwissenschaftlichen Unterrichts. Aus dem 18. Jahrhundert verfügen wir über eine nicht geringe Anzahl von Vorlesungsmitschriften und Lehrbüchern - zumeist jesuitischer- Bildungseinrichtung. Die wissenschaftshistorische Bedeutung des vorliegenden Manuskripts liegt in der Tatsache, daß es ganz offensichtlich in einem privateren Lehrzusammenhang entstanden ist und besonders in der Tatsache, daß es ein eindrucksvolles Beispiel eines praxisbezogenen, neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Unterrichts ist."
Preis: 1600 EUR