Buchcover
GARTENARCHITEKTUR -: "Anonyme Federzeichnung einer barocken Gartenanlage aus dem Veneto, undatiert (um 1720). Braune Tinte und graue Lavierungen, auf festem Büttenpapier; Blattgröße ca. 40 x 32 cm. Sammlerstempel unten in der Mitte. Auf der Rückseite drei weitere Sammlerstempel, davon einer geschwärzt. Zudem moderne Beschriftung in Graphit: ""Marco Ricci 1676-1729 Belluno - Venedig"", sowie gedruckter Klebezettel: ""Marco Ricci 1679 Belluno - Venedig 1729""."

Zur Darstellung: Die überaus dekorative Federzeichnung zeigt einen wohl konkreten, jedoch bislang nicht zu identifizierenden Garten in Oberitalien, den man am wahrscheinlichsten im Veneto ansiedelt. Die Zeichnung könnte früher einmal rechts und links beschnitten worden sein, denn recht zufällig wirkt der gewählte Ausschnitt. Andererseits hat der Zeichner ohnehin einen ungewöhnlichen Winkel gewählt, fällt der Blick doch nicht entlang der Hauptachse auf das eigentliche Villengebäude, das wir gegenüber dem schmiedeeisernen Gartentor auf der linken Seiten vermuten möchten, sondern quer diagonal über die Parterres hinweg auf den terrassierten Garten mit der Freitreppe und der hohen Gartenmauer, hinter der ein Nebengebäude aufragt. Durch den Standpunkt des Zeichners, der den streng achsial gegliederten Garten also bewusst aus einer Schrägansicht aufnimmt und somit konterkariert, sowie die drei Personen, die sich in dem Garten aufhalten, zwei Gärtner und womöglich der Besitzer der Anlage im Gespräch mit einem von ihnen, erhält das Blatt den Charakter einer heiteren Vedute und weist über die lediglich nüchterne Dokumentation einer Gartenanlage weit hinaus. Der Garten selbst gliedert sich grob betrachtet in eine Parterre- und eine Terrassenzone. Letztere folgt einer seit der Renaissance gebräuchlichen Art und Weise, Hänge zu gliedern und somit für den Gartenraum überhaupt erst zu erschließen. Vor der unteren Terrassenmauer erkennt man dichte strauchartige Gewächse mit kräftigen Stämmen, vielleicht Weinstöcke, die von einem hölzernen Gitter abgeschirmt werden. Auf der darüber liegenden schmalen Terrasse sind flache steinerne Konsolen angebracht, auf denen Pflanzgefäße mit kleinen Bäumchen, vielleicht Zitronenbäumen, platziert wurden. Ähnliche Gefäße stehen um die Parterres herum und auf der schräg verlaufenden niedrigen Gartenmauer am rechten Bildrand. Hinter der zweiten Terrasse, angelehnt an die hohe Gartenmauer, zieht sich eine langgestreckte Pergola. Hölzernes Lattenwerk, steinerne Rundsäulen und gebogene Metallstäbe formen ein Gerüst, das vollständig von dichten und hochaufragenden Weinreben ausgefüllt wird. Im Zentrum kulminiert dieses Gerüst in einem Pavillon mit aufwendiger helmartiger Bekrönung, die ebenfalls vollständig von Rankenwerk durchzogen und ausgefüllt wird. Man hat den Eindruck, als habe der Zeichner vor allem diese Pergolen im Bild festhalten wollen. Im Kontrast zu dieser Terrassierung, einer in der Renaissance verwurzelten und typisch italienischen Lösung, steht die Fläche im Vordergrund mit den Broderieparterres, einem konstitutiven Element des französischen Barockgartens, dessen Erfindung in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. eng mit dem Namen von André Le Nôtre verbunden ist. Von Frankreich aus trat es im 18. Jh. seinen Siegeszug nach Deutschland und Italien an. Wohl aus niedrigem Buchs geformt, schlängeln sich die barocken Zierelemente auf einer hellen Kiesfläche. Die Eckpunkte der Figurationen sind durch Bäumchen besetzt. Die Zeichnung legt nahe, dass es hier gleich vier solcher Parterres gab, von denen wir lediglich eines annähernd vollständig dargestellt finden. Denn links der Querachse, auf der der Gärtner arbeitet, dürften sich zwei weitere Parterres erstrecken und unten findet sich angeschnitten eine Wiederholung des oberen Parterres angedeutet. Übrigens wird die Ornamentik der Broderien im Ziergitter des Eingangstores wiederholt. Von der Außenwelt ist der Garten durch Mauern abgegrenzt. Hinter der hohen Mauer im Mittelgrund ragt ein schlichtes Gebäude auf, das allein durch seinen leicht hervortretenden Mittelrisalit einschließlich des Dreiecksgiebels eine Aufwertung erfährt. Seine vom Garten abgesonderte Lage macht es unwahrscheinlich, dass wir es hier mit dem eigentlichen Herrenhaus zu tun haben, auch wenn es auf der Zeichnung einen prominenten Platz einnimmt. Hinter dem Haus erhebt sich ein natürlicher Berghang, der von einzelnen Bäumen spärlich besetzt ist. Es ist dieser Hang, der im Bildhintergrund ungegliedert aufragt, der in seinem unteren Bereich gartenkünstlerisch bewältigt werden musste, was mittels der Terrassierung und der Anlage einer Freitreppe auch gelang. Zu Technik und Künstler: Der Zeichner arbeitet mit brauner Tinte, entweder Bister oder Sepia, mit der er die einzelnen Umrisslinien zeichnet, sei es frei oder mit Lineal, sowie mit grauen Lavierungen, die ihm insbesondere dazu dienen, die atmosphärische Dichte von Pflanzen darzustellen. Sehr reizvoll wirkt die Durchdringung der braunen dünnen Linien durch die kräftigen Graulavierungen im Bereich der Pergolen, die die Mittelzone des Bildaufbaus beherrschen. Schwächen lässt das Blatt in der mangelnden Beherrschung einer logischen Perspektivführung erkennen. Schaut man auf das Gebäude eher von rechts, so legt der Blick auf die Freitreppe und den Mittelpavillon der Pergola einen Betrachterstandpunkt von links nahe. Auch ist dem Zeichner die Verkürzung der Broderien nicht ganz gelungen, so dass die Flächigkeit des Parterres nicht ganz überzeugend erreicht werden konnte. Die von früheren Sammlern vorgenommene Zuschreibung an Marco Ricci (1676-1730) ist daher auszuschließen. Riccis Veduten, seien es Gemälde oder Zeichnungen, die ländliche Gebäude oder antike Ruinen in Landschaften eingebettet zeigen, beweisen allesamt eine sichere Beherrschung perspektivischer Regeln, sowohl in der Setzung von Licht und Schatten als auch in der Arrangierung der Fluchtlinien (vgl. Splendori del Settecento Veneziano 1995, S. 407-411, Kat. Nr. 122-124). Grundsätzlich ist nicht sicher, dass der Zeichner überhaupt aus Italien stammt, könnte es sich doch ebenso um einen nordalpinen Künstler handeln, der seine Reiseeindrücke festhält. Zur kunsthistorischen Bedeutung: Gartenkunstgeschichtlich ist das Blatt trotz der erwähnten kleinen technischen Defizite durchaus bedeutend, weil es ein Nebeneinander von französischen und italienischen Gestaltungselementen vor Augen führt. Ähnliches lässt sich in der Jahrhundertmitte in Sanssouci beobachten, dessen Weinberg ebenfalls durch Terrassen gegliedert wird, um am Fuße in eine Parterregestaltung à la française überzugehen. Außerdem ist die Zeichnung ein schöner Beleg für den Einzug des französischen Gartens im Veneto. Davon ist in den heutigen Gärten nur noch wenig übrig geblieben, denn die notwendige aufwendige Pflege - auf der Zeichnung eindrücklich verdeutlicht durch den harkenden Gärtner - ließ solche Parterres schon gegen Ende des 18. Jhs. häufig schnell wieder verloren gehen. Man darf vermuten, dass die heute oft ungegliederten Rasenflächen im unmittelbaren Umfeld von Villen im Veneto in der ersten Hälfte des 18. Jhs. womöglich häufiger nach der Mode des französischen Gartens umgestaltet worden waren. Hoher dokumentarischer Wert kommt dem Blatt zu, indem es einzelne Elemente des barocken Gartens beschreibt: Die Gartenmauer, das Eingangsgitter, die Postamente für die Pflanzgefäße, die Broderieparterres, die Freitreppenanlage, die Treillagegitter, die Pergolen. Typisch für die Gartenkultur des Veneto im 18. Jahrhundert sind Skulpturen in zeitgenössischer Tracht, wie sie am Eingang auf der Parkmauer steht. An der Villa Fattori Mosconi in Novare di Negrar steht ein bäuerliches Pärchen an der Einfahrt zu den Barchesen, den Wirtschaftsflügen (Bödefeld/Hinz 1987, S. 126, Abb. 40, 41), ein eben solches befindet sich im Garten der Villa Capodilista in Montécchia (Bödefeld/Hinz 1987, S. 186, Farbabb. 14). Zur Provenienz: Gleich mehrere Sammlermarken verraten, dass sich das Blatt bereits in verschiedenen älteren Sammlungen befand. Die älteste und interessanteste Marke ist diejenige unten auf der Vorderseite: Angebracht in Tinte, zeigt sie die Initiale eines großen C mit eingerollten Enden. Blätter mit diesem C (L. 474) ordnete Frits Lugts 1921 in der ersten Auflage seines Verzeichnisses der Sammlermarken (Les Marques de collections de dessins & d'estampes) noch der berühmten Sammlung des französischen Kaufmanns Pierre Crozat (1661-1740) zu. Damit korrigierte er die bis dahin irrtümlich verbreitete Meinung, dass die Initiale auf Königin Christina von Schweden (1626-1689) deute, was insofern ausgeschlossen ist, als einige Zeichnungen mit diesem C erst aus dem 18. Jahrhundert stammen. Außerdem weisen die gesicherten Blätter aus der Sammlung der schwedischen Königin das C gerade nicht auf. Doch auch die Zuordnung an den Sammler Pierre Crozat ließ sich nicht halten. In der zweiten Auflage 1956 bemerkte Lugts, dass sich die Initiale inzwischen auch auf Zeichnungen gefunden habe, die erst deutlich nach Pierre Crozats Tod entstanden waren - und dessen Blätter ganz andere Beschriftungen aufweisen (L.2951). In der Datenbank der Fondation Custodia (www.marquesdecollections.fr), die nicht nur vollständig die beiden gedruckten Ausgaben von 1921 und 1956 enthält, sondern bis heute gepflegt, ergänzt und erweitert wird, findet sich seit 2010 ein weiterer langer Eintrag zur dieser Initiale, ohne dass freilich endlich eine klare Zuordnung getroffen werden könnte. Inzwischen wurden etwas mehr als 360 Zeichnungen mit dieser Sammlermarke gefunden, 80% davon sind von der Hand italienischer Künstler. Zudem befindet sich auch eine Zeichnung Nicolas Poussins aus dem Louvre darunter. Dank weiterer Bezeichnungen, die sich auf vielen der 360 Blätter befinden, darf man vermuten, dass die Sammlung in Großbritannien angelegt und dort gegen Ende des 18. Jhs. aufgelöst wurde. Auch die vorliegende Gartenzeichnungen gelangte damals in neue Sammlungskontexte, wie die drei Sammlerstempel auf der Rückseite verraten. Einer von ihnen wurde geschwärzt. Die beiden anderen hingegen lassen sich seit 2010 ebenfalls in besagter Datenbank der Fondation Custodia auffinden. Es handelt sich um Rundstempel mit den Initialen E und K (L.3549) bzw. mit den Initialen J und K (L.3575). Beide Stempel stammen aus dem 20. Jahrhundert, eine weitere Identifizierung ist bislang nicht gelungen. Immerhin lässt sich feststellen, dass sich beide Stempel, und zwar ebenfalls jeweils zusammen, auf zwei niederländischen Zeichnungen mit römischen Ansichten von 1637 und 1638 befinden, die früher einmal zur Leipziger Sammlung Strähnz gehörten, sowie auf einer deutschen Zeichnung des 19. Jhs. Der Stempel L.3549 ist zudem auf weiteren holländischen und flämischen Zeichnungen sowie deutschen Zeichnungen des 19. Jhs. dokumentiert. Fazit: Die großformatige und sehr dekorative Zeichnung bietet die authentische Momentaufnahme eines italienischen Gartens der Barockzeit. Aus gartenhistorischer Sicht besticht dabei besonders die Kombination älterer italienischer und moderner französischer Stilelemente. Vortrefflich ist es dem Zeichner, dessen Stärke eindeutig in der Wiedergabe von Pflanzen liegt, gelungen, die Atmosphäre des Gartens mit der eher kahlen und nüchternen Ebene der geometrischen Parterres, die in der Sonne liegen, und den schattigen, mit dichtem Rankenwerk bewachsenen Pergolen auf den ansteigenden Terrassen einzufangen.
Preis: 1750 EUR