Buchcover
BEMERKENSWERTES SAMMELALBUM: aus der Zeit zwischen Spätromantik und frühem Historismus, mit dekorativen Veduten aus Potsdam, Babelsberg und Berlin, zusammengestellt wohl von einem jungen Mädchen (Decke mit dem goldgeprägten Besitzvermerk 'Anna'), enthält 56 montierte Aquarelle, Zeichnungen, Graphiken und 17 frühe Photographien von Gemälden oder Stichen, größtenteils mit Tuscherahmen versehen, sowie zwei handschriftliche Einträge, wohl Mühlenbeck in Brandenburg, um 1851 bis 1855. 36 Blatt, meist beidseitig beklebt, Fadenheftung, Blattgröße des Albums 24 x 20 cm. Brauner, blindgeprägter Pappband der Zeit mit Goldschnitt (Kanten deutlich berieben), 4to.

"Zur Datierung: Die Entstehungszeit des Albums lässt sich dank einiger handschriftlich datierter Zeichnungen und Aquarelle auf die Jahre 1851-1855 eingrenzen. In diesen Zeitraum fallen auch die beiden persönlichen Widmungen einer Tante und einer ""großmütterlichen Freundin"" vom 23. beziehungsweise 25. August 1852. Hingegen dürften einige deutlich früher datierte Blätter, wie das Aquarell eines Veilchens von 1799 (Bl. 20r) oder die beiden Graphitzeichnungen von Leopold Krieg, von denen die eine 1832 datiert ist (Bl. 4r), als Geschenke an Anna gelangt sein, die sie dann in ihr neu angelegtes Album einfügte. Dies ist um so wahrscheinlicher, als es sich bei einer der Zeichnungen Kriegs um eine Ansicht von Mühlenbeck handelt (Bl. 8r), also dem Ort, aus dem auch die beiden Autorinnen der persönlichen Widmung - und möglicherweise auch Anna selbst - stammen. Mühlenbeck ist eine kleine Landgemeinde unmittelbar nördlich der Berliner Stadtgrenze, heute in Brandenburg gelegen. Die heutige Kirche wurde erst 1891/1894 errichtet, so dass die Ansicht Kriegs noch den Vorgängerbau zeigt. Zum Inhalt des Albums: Dem Zeitgeist entsprechend durchziehen zahlreiche sorgfältig und geschickt angelegte Aquarelle und Zeichnungen von Blumen und Pflanzen das gesamte Erinnerungsbuch. Dabei dürften einige Blätter von Anna selbst angefertigt worden sein; eines ist entsprechend signiert. Jedes der Blätter ist repräsentativ und wirkt für sich, besonders schön sind die Aquarelle, von dezenter Farbigkeit, insbesondere diejenigen von Heckenrosen (Bl 7r, 30r), eines Fliederzweigs (Bl. 11r) oder einer Wildrose (Bl. 22r). Doch auch die Graphitzeichnungen entbehren nicht eines eigenen Reizes, wie zum Beispiel die Szenerie eines gefällten Holzstamms auf Waldboden (Bl. 6r). Besonders dekorativ ist eine Gouache, die zwei Kolibri mit einem Nest zeigt (Bl. 14r). Das Malen und Zeichnen, gerade von Blumen, wurde in der damaligen Zeit als idealer Zeitvertreib für ein heranwachsendes Mädchen erachtet. Das Thema der Blumen interessierte aber auch im Medium der Druckgraphik, das offensichtlich gleichermaßen geschätzt wurde wie die selbst angerfertigten Aquarelle und Zeichnungen. Dies dürfte auch daran gelegen haben, dass etwa Chromolithographien um 1850 noch eine relativ junge Erfindung waren. Erwähnt seinen die vier bunten Blumensträuße, die jeder einer anderen Jahreszeit Ausdruck verleihen (Bl. 7v, 22v, 30v, 36r). Die Welt der Blumen ist aber nur ein Themenstrang, der das Album durchzieht. Einen anderen mag man unter Begriffen wie Innerlichkeit und Aufforderung zur Tugendhaftigkeit zusammenfassen. Dazu gehören an erster Stelle die beiden bereits erwähnten handschriftlichen Erinnerungssprüche einer Tante und einer älteren Freundin vom August 1852, angelegt in der Art eines Poesiealbums und mit sehr schönen, aus dem Band förmlich herausstechenden kolorierten Lithographien von Schloss Babelsberg beziehungsweise Schloss Sanssouci, auf die weiter unten in anderem Kontext ausführlicher eingegangen werden soll. Die beiden Sprüche selbst gemahnen an Gottvertrauen und Demut: ""In jede Lage füge Dich! Mögest im Glück Dich nicht überheben - im Trüben sei in Demuth still, ergeben! Gott steht uns gnädig bei! Wer ihm vertraut, fest auf ihn baut, den wird er nicht verlassen!"" (Bl. 18v) und an Treue und Innerlichkeit: ""Such Dein Glück in stiller Hütte, Wo die treue Liebe weilt, Such' es in der deinigen Mitte, die kein Haß und Hader theilt"" (Bl. 23v). In Verbindung mit Innerlichkeit und Frömmigkeit, mit Mütterlichkeit und Familiensinn stehen auch zahlreiche der hier vereinten Stahlstiche. Gerade in ihrer Kleinformatigkeit waren sie Produkte, die sich als Geschenk und Sammelgegenstand für heranwachsende Mädchen anboten; die idealtypischen Darstellungen waren geeignet die jungen Damen auf ihre spätere Rolle als keusche und treue Ehefrau und fürsorgliche Mutter vorzubereiten. So zeigen sie zum Beispiel eine betende Mutter mit ihren Kindern oder überhaupt verschiedene Mutterszenen, trauernde Frauen, ein Mädchen mit Hund (als Symbol der Treue) oder eine junge Frau am Brunnen, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch das Landleben, etwa in Gestalt italienischer Bäuerinnen oder eines Bauernmädchens mit Schaf, wird verherrlicht. Eine weitere Besonderheit des Bands sind die frühen kleinformatigen Photographien, die zumeist von breiten Spitzenbordüren aus Papier umrahmt sind. Eine für uns heute überraschende Kombination, die die damals noch junge und ungewohnte Reproduktionstechnik mit dem Ornamental-dekorativen und Biedermeierlich-behaglichen versöhnen sollte (Bl. 4v, 5v, 23r, 31r, 33v, 35r). Dazu passen auch die wiedergegebenen Sujets: junge Mädchen und Frauen in einem primär häuslichen Umfeld, zu Pferd oder mit Hund, am Spinnrad, bei der Morgentoilette und bei der Prozession. Auch die Reproduktion von Tizians bekanntem Gemälde des Mädchens mit einer Fruchtschale, das sich in der Berliner Gemäldegalerie befindet, lässt sich in diesem gesellschaftlichen Kontext verorten (Bl. 4v). Allerdings ist die Wiedergabe im Vergleich zum originalen Gemälde seitenverkehrt. Kurioserweise ist im selben Band dasselbe Motiv ein zweites Mal vorhanden, dieses Mal als konventioneller kleinformatiger Stahlstich und in korrekter Positionierung (Bl. 29r). Schön lassen sich anhand der beiden Blättchen Vorzüge und Nachteile der gewählten Verfahren vergleichen. Mag man die Blumen einer Haltung der Innerlichkeit und Häuslichkeit zurechnen, so weisen die zahlreichen Reisemotive, ebenfalls ein beliebtes romantisches Thema, über den engeren Kreis des eigenen Lebensmittelpunkts hinaus. Es muss dabei offen bleiben, inwieweit Anna bereits selbst Reisen unternommen hatte oder ob die Darstellungen eher, was wohl näher liegt, Sehnsüchte beschreiben. Einige Feder- und Graphitzeichnungen mit Darstellungen des Landlebens könnten durchaus von ihr stammen (Bl. 10v, 17v, 19v, 28v). Hinzu gesellen sich die eingeklebten Stahlstiche und Lithographien von berühmten Gebäuden, wie dem Stephansdom in Wien (Bl. 13v), dem Wormser Dom (Bl. 21r) oder einer Brücke in England oder Schottland (Bl. 10r). Als eine eigene kleine Gruppe innerhalb der Reiseansichten ragen die Ansichten aus der Schweizer Bergwelt heraus, die mit zu den schönsten Blättern des Albums gehören (Bl. 1v, 15r, 17r). Es handelt sich wohl um gouachierte Aquatinten. Identifizieren lässt ich bislang die häufig gestochene Sicht auf das berühmte Hospiz am Großen Sankt Bernhard (Bl. 17r). Bei diesen Blättern dürfte es sich weniger um persönliche Souvenirs handeln - das Album macht nicht den Eindruck eines Reisetagesbuchs -, sondern um Sammelstücke oder Mitbringsel, die dann in das Album eingeklebt wurden. Die Blätter bewahrten also nicht die Erinnerung an, sondern weckten die Lust auf eine Reise in die Schweiz. Da allein das Motiv zählte, wurden die Stiche bis an den Rand der eigentlichen Darstellung beschnitten. Unter den Ortsveduten bilden schließlich noch die Berliner und Potsdamer Ansichten eine eigene Gruppe. Sollte Anna tatsächlich aus Mühlenbeck stammen, wofür einiges spricht, so waren dies dann also Motive aus ihrer nächsten Umgebung, die sie persönlich kannte. Einige Graphiken zeigen den Gendarmenmarkt und das Alte Museum, das Denkmal Friedrichs des Großen Unter den Linden sowie den Kreuzberg und die Berliner Universität (Bl. 12v, 27v, 35v). Sie wirken fast wie Sammelbilder, die auch für einfachere Kreise erschwinglich waren. Sie sind andererseits für uns heute interessante Quellen für die Entwicklung der Berliner Stadtvedute, und es ist nicht sicher, dass tatsächlich alle diese Drucke in die entsprechenden Verzeichnisse zur Druckgraphik Berlins bereits aufgenommen sind. Teilweise gibt es hier enge Verbindungen und Abhängigkeiten zu fast identischen großformatigen Lithographien. Im Falle der Gendarmenmarkt-Ansicht ist jüngst in Privatbesitz ein Gemälde aufgetaucht, das als Vorlage gedient haben könnte. Solche Verästelungen aufzulösen, könnte mit Hilfe dieser Blättchen weiter gelingen. Den Höhepunkte des Albums bildet aber eine Vedute des Neuen Palais in Potsdam, vom Klausberg aus gesehen (25v), wohl eine Gouache und damit ein Unikat, sowie drei aufwendig kolorierte Stiche. Die Kolorierung ist jeweils in leuchtenden Deckfarben angelegt, so dass diese Blätter ein wahres Feuerwerk an Farben versprühen. Eines der Blätter zeigt die obere Terrasse von Schloss Sanssouci in der Gestaltung des 19. Jahrhunderts, mit üppigen Beeten und Fontäne, deren Wasserstrahlen mittels Deckweiß markant ins Bild gesetzt werden. Ein eigens angelegter dünner fadenartiger, also vollplastischer Goldrand rahmt die Ansicht. Sie bildet mit einem der genannten Widmungstexte, dem der Tante, eine komponierte Doppelseite (Bl. 19r). Das Gesagte gilt auch für den Blick auf Schloss Babelsberg vom gegenüberliegenden Ufer, das die großmütterlichte Freundin beigegeben zu haben scheint (Bl, 24r). Obwohl in beiden genannten Fällen die Motive an sich häufiger sind, konnte die exakte Vorlage bisher noch nicht bestimmt werden. In der Potsdam-Literatur tauchen sie nicht auf, was den Motiven einen gewissen Seltenheitswert gibt. Anders ist dies bei dem ebenfalls auffallend kolorierten Blatt der Bauakademie, das einen authentischen Einblick in die Farbigkeit Berlins des 19. Jahrhunderts gewährt (Bl. 36v). Ihm liegt der Stich von Hablitscheck und Würbs (Kiewitz 1345), entstanden um 1850, zugrunde. Kulturgeschichtliche Bedeutung: Insgesamt ist das Album nicht nur ein charmantes und aufschlussreiches Zeugnis der Mentalitätsgeschichte in Brandenburg-Preußen um 1850. Es ist auch ein Kompendium der vielfältigen graphischen und druckgraphischen Möglichkeiten der Zeit, getrüffelt durch einige bemerkenswerte Gouachen und Zeichnungen, die durch ihre Kunstfertigkeit bestechen und als Ausgangspunkt für weitere Forschungen dienen können. Sowohl die Sujets (von den biedermeierlichen Blumenstillleben, pittoresken Landschaften und Genreszenen bis zur Hängebrücke als Monument der modernen Ingenieurtechnik) als auch die Techniken der einzelnen Blätter (von den üblichen Gouachen, Aquarellen, Zeichnungen und Lithographien bis zu den neuartigen Chromolithographien und Photographien) sind in ihrer Zusammenstellung eine interessante Mischung zwischen Tradition und Moderne in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Zustand: Die weißen Ränder stellenweise etwas gebräunt oder leicht fingerfleckig, die transparenten Zwischenblättchen teilweise etwas lädiert, insgesamt aber sehr wohlerhalten und frisch."
Preis: 3600 EUR