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ARCHITEKTURZEICHNUNGEN -: Baukunst des Historismus. Der zeichnerische Nachlass des französischen Architekten E. Baurienne. Über 300 Zeichnungen, datiert 1840 bis 1887, in zwei Folio-Bänden der Zeit, Rücken mit Leinwand, Decken mit Marmorpapier bezogen, je 51 x 41 cm. Handschriftliche Rückentitel (teilweise abgelöst): Aufschrift Band 1: 'FERMES'. Aufschrift Band 2: 'BATIMENTS / COMMUNAUX / EGLISES / FACADES / GRILLES / PERRONS'. Die Zeichnungen meist in Graphit, Feder, Tusche, farbig laviert, eingeklebt in Falze und gebunden, von diverser Größe, viele jedoch im Format des Bandes oder sogar doppelt so groß, auf festem Papier oder Transparentpapier, letzteres fast immer aufgeklebt.

"Die beiden vorliegenden Bände stammen aus dem Nachlass des französischen Architekten E. Baurienne und bilden möglicherweise dessen gesamten heute erhaltenen Nachlass. Biographisch ist nur wenig über ihn bekannt, ja nicht einmal sein Vorname ließ sich für uns bislang ermitteln. Angesichts der Tatsache, dass er mit so vielen konkreten Bauprojekten in Verbindung gebracht werden kann, ein erstaunlicher Befund. Fraglos könnten die beiden schwergewichtigen Bände Grundlage einer Monographie dieses vielseitigen Architekten werden. Die folgenden Ausführungen stützen sich allein auf deren erste Auswertung. Lediglich das im Internet zugängliche Inventaire général du patrimoine culturel ist noch zu erwähnen, das 17 Bauprojekte von Baurienne auflistet: Schulen, Bürgermeisterämter, Brücken, Renovierungen alter Kirchen, darunter viele Projekte, die nicht in den vorliegenden Bänden dokumentiert sind. Baurienne war zwischen 1840 und 1887 in der Gegend südwestlich von Paris tätig, in vier Départements, die unmittelbar an den Großraum der Hauptstadt grenzen: Essonne, Eure-et-Loir, Seine-et-Marne und Yvelines. Vor allem war er in Essonne und Yvelines tätig, die zu seiner Zeit zum 1968 aufgelösten Département Seine-et-Oise gehörten. Sein Briefpapier, das sich in einem der Bände erhalten hat (I, 6v), verrät, dass er zumindest in den 1840er Jahren in dem kleinen Örtchen Bandeville bei Paris lebte: ""E. Baurienne. Architecte. A Bandeville. C.me de S.t-Cyr-sous-Dourdan (Seine-et-Oise)."" Mittelpunkt dieses Ortes ist bis heute ein Schloss, das schon damals der Familie Pourtalès gehörte. Ob Baurienne mit dieser in Verbindung stand und etwa im Bereich des Schlosses wohnte müssen weitere Recherchen ergeben. E. Baurienne, der wohl gegen 1815 geboren sein dürfte, war ein Zeitgenosse von Hippolyte Durand (1801-1882), von Georges-Eugène Baron Haussmann (1809-1891), dem Erneuerer von Paris, von Eugène Viollet-le-Duc (1814-1879), von Charles Garnier (1825-1898), dem Erbauers der Pariser Oper, oder des Italieners Alessandro Antonelli (1798-1888) sowie der preußischen Architekten Friedrich August Stüler (1800-1865), Heinrich Strack (1805-1880) und Martin Gropius (1824-1880). Der vorliegende Nachlaß böte ausreichend Material, das reiche Schaffen eines jahrzehntelang mit kleineren und größeren Aufträgen betrauten, vielbeschäftigten Architekten in der Provinz gerade auch vor dem Hintergrund dieser architekturgeschichtlich weit erfolgreicheren und prominenteren Architekten zu analysieren. Obwohl Baurienne in unmittelbarer Nähe der Metropole Paris lebte und wirkte, scheint er dort nicht tätig gewesen zu sein, sondern konzentrierte sich ganz auf eine anspruchsvolle ländliche Klientel: Guts- und Schlossbesitzer, Bürger in Kleinstädten, die Kirche sowie öffentliche Gemeinden. Betrachtet man die beiden Bände im Überblick, so zeigt sich, dass Baurienne alle diese Aufgaben souverän beherrscht zu haben scheint, so dass er seinen Auftraggebern überzeugende Lösungen für Ihre Wünsche anbieten konnte und sich im Laufe der Jahre zu einem angesehen und gefragten Architekten etablierte. Die Qualität seiner Zeichnungen, wie sie sich durchgehend in den vorliegenden Bänden findet, setzt eine professionelle Architektenausbildung zwingend voraus, die aller Wahrscheinlichkeit nach doch wohl in Paris erfolgte. Ob er dabei an der École des Beaux-Arts, wie beispielsweise Garnier, oder doch eher an der École Polytechnique studierte, muss offenbleiben. Die solide Ausbildung eines professionellen Architekten versetzte ihn in die Lage, streng angeordnete und schlüssig aufgebaute Zeichnungen zu liefern, wie sie notwendig waren, um zum einen dem Bauherrn seine Ideen und Lösungen überzeugend zu vermitteln und zum anderen später die tatsächliche korrekte Ausführung zu gewährleisten. Eine wichtige Einnahmequelle waren für Baurienne repräsentative bürgerliche Wohngebäude in Kleinstädten. Dabei scheint er den Geschmack der Bauherren exakt getroffen zu haben. Diese Gebäude, von denen sich sicherlich einige erhalten haben, heute noch zu identifizieren, wäre eine künftige Aufgabe der Forschung. Für diese Wohnhäuser schuf er zugleich Innenraumentwürfe, die sich am französischen Rokoko orientierten. Auch holte er bei Bedarf Ideen bei Raumgestaltern ein, etwa für die Wandgestaltung einer Veranda oder für einen Mosaikfußoden, so dass sich einige wenige Zeichnungen von fremder Hand in den beiden Alben befinden. Eine von Bauriennes Domänen war offensichtlich die Renovierung von Kirchen und Kapellen. Er war ein Spezialist für den Umbau alter Kirchen, die man im 19. Jahrhundert als unschicklich empfand oder die dringend einer Instandsetzung bedurften. Anders als heute, wo die Konservierung der originalen Materialität Vorrang hat, genügte es damals, die Erneuerungen im alten Stil dem Altbau anzupassen. So renovierte er Kirchenschiffe, Dächer und Türme, kümmerte sich aber ebenso um Details der mobilen Ausstattung und legte neogotische Altarentwürfe und Zeichnungen für Glasgemälde vor. Auch schuf er Epitaphien und Grabmäler. Die den Heiligen St. Gervais und St. Protais geweihte romanische Kirche in Bonnelles aus dem 13. Jahrhundert renovierte Baurienne in mehreren Etappen zwischen 1865 und 1869. Eindrucksvolle Pläne, teilweise mit zahlreichen Anmerkungen versehen, bieten detaillierten Einblick in seine Eingriffe, die so stark waren, dass letztlich nur der Glockenturm im Original erhalten blieb. Auch der Altar wurde damals neugeschaffen, wobei man den Eindruck hat, dass die überlieferten Zeichnungen wohl eine Vorstufe zum endgültigen Entwurf darstellen. Zwischen 1850 und 1854 war Baurienne mit der Renovierung der aus dem 15. Jahrhundert stammenden Pfarrkirche in Vaugrigneuse beauftragt, wozu sich ebenfalls Zeichnungen finden. Baurienne beherrschte die Aufgaben vom großen bis ins kleine. Er plante ganze Gebäude, zeichnete aber zugleich Konsolen, Baluster und Balkone. Damit zeigt er sich als umfassend gebildeter Architekt, der noch wie die großen Architekten des 17. und 18. Jahrhunderts einen Bau komplett entwerfen und durchgestalten konnte. Mehrere Zeichnungen dokumentieren seine Auseinandersetzung mit den klassischen Säulenordnungen, die für einen Architekten des 19. Jahrhunderts noch zum Standardrepertoire gehörten, selbst wenn er sie, etwa wenn er lokalen Mittelalter- oder Renaissanceströmungen folgte, längst nicht mehr bei jedem Bauvorhaben einsetzte. Was die Renovierung von Schlössern und Kirchen betrifft, so sind viele seiner Zeichnungen Teil einer komplexen Bau- und Restaurierungsgeschichte. Es wird die Aufgabe künftiger Forschungen sein, ihren exakten Platz und ihre Wirkung im jeweiligen Bauverlauf zu analysieren. Zweifellos werden mit dem hier vorliegenden Planmaterial zahlreiche neue Erkenntnisse zu gewinnen sein. Besonderen historischen Wert haben die beiden Bände für die besagten Départements südwestlich von Paris. Darüber hinaus sind sie aber mit ihrer lückenlosen Fülle sehr qualitätvoller Architekturzeichnungen auch ein eindrucksvolles Dokument für die architektonische Praxis im Frankreich des 19. Jahrhunderts. Die meisten Blätter sind Reinzeichnungen nach den Regeln der Orthogonalprojektion, um eine klare, architektonisch korrekte und umfassende Vorstellung des geplanten Bauvorhabens zu vermitteln. Bevorzugt ordnet er mit souveränem Strich Grundriss, Aufriss und Schnitt auf einem Blatt an, die durch Detailansichten oder Texterörterungen begleitet werden können. Bei der Konstruktion eines Gewächshauses etwa werden Details der Verglasung in größerem Maßstab beigefügt, die den Nachbau ermöglichen. Meist arbeitet er mit einer dezenten, doch klaren Farbgebung. Grundrisse und Schnittflächen werden bevorzugt in Rosatönen wiedergegeben. Der Großteil seiner Zeichnungen ist sowohl durch eine Maßstabsangabe als auch durch zahlreiche hinzugefügte Längenangaben an den einzelnen Linien einer Konstruktion exakt bemaßt. Vermögen schon Bauriennes Reinzeichnungen auch ein ungeübtes Auge von der Qualität der Entwürfe zu überzeugen, so besitzen seine perspektivisch und atmosphärisch angelegten Präsentationsrisse durchaus künstlerische Qualitäten und machen Lust darauf, das Dargestellte auch in die Tat umgesetzt zu sehen. Und nicht zuletzt finden sich auch einige wenige Werkzeichnungen in dem Bestand, etwa die großen gefalteten Pläne einer Konsole (I, 50v/51r) oder eines Balusters (I, 53v-56), die dem Steinmetz das exakte Nachbilden dieser Architekturformen ermöglichten. Beide Bände sind überaus eng mit Zeichnungen bestückt. Oft sind auf der Rückseite eines Blattes weitere Blätter aufgeklebt, darunter häufig Zeichnungen auf Transparentpapier, wie sie im Zuge der Korrespondenz mit Auftraggebern entstanden. Solche Zeichnungen sind gerade nach einer gewissen Alterung besonders empfindlich und in ihrem Bestand gefährdet. Dadurch, dass sie eingeklebt wurden, sind sie nunmehr besser geschützt. Alles spricht dafür, dass diese Bände erst nach Abschluss von Bauriennes Tätigkeit als Architekt, sei es durch ihn selbst oder die Erben seines Nachlasses, zusammengestellt wurden, damit loses Planmaterial in eine feste Form käme und somit im Zusammenhang gesichert bliebe. So weisen die Bände auch - dies ist besonders hervorzuheben - keinerlei Lücken auf, die auf nachträgliche Entnahmen oder gar Fledderungen hindeuten würden. Beide Bände sind vielmehr völlig intakt, so dass sich allein die - allerdings nicht zu beantwortende - Frage stellt, ob es eventuell noch mehr Bände zu anderen Baugattungen gab. Die erhaltenen Zeichnungen lassen sich grob einteilen in Nutzbauten für landwirtschaftliche Gutsanlagen, private Wohnhäuser, kommunale Bauten für Schulen und Rathäuser sowie nicht zuletzt Renovierungen und Ergänzungen für historische Kirchen und Schlösser. Baurienne lebte, wie gesagt, in dem kleinen Ort Bandeville, wo bis heute auch ein Schloss aus dem 17. Jahrhundert existiert, das seit 1806 der Familie Pourtalès gehört. 1847 legte Baurienne einen Entwurf für einen Balkon an der Gartenfassade vor. Für die dazugehörige Mühle des Orts, die in einem italianisierenden Stil errichtet wurde, findet sich die Konstruktionszeichnung eines Mühlrads. Für das aus dem 16. Jahrhundert stammende Schloss in Bissy erstellte er Zeichnungen einer Freitreppe für die Parkseite, die sich in historistischem Formengut dem Altbau anpasst. Am Schloss in Fontenay, einem geschichtsträchtigen Bau aus dem 16. Jahrhundert, wurde Baurienne ebenfalls mit Restaurierungsmaßnahmen beauftragt (1859). Zahlreiche Zeichnungen halten seine Ideen fest, die wohl teilweise auch ausgeführt wurden. Auch am Bau des eindrucksvollen Schlosses in Pinceloup war Baurienne beteiligt, wobei sein schöner Fassadenaufriss noch eine Vorstufe des heutigen Zustands wiedergibt. Das Schloss entstand 1865 als historistischer Neubau nach Entwürfen von Eugène Thome, dessen Verhältnis zu Baurienne noch zu ermitteln wäre. Eng verbunden mit den Schlössern ist die landwirtschaftliche Sphäre der Gutsanlage. In diesem Zusammenhang finden sich unter seinen Entwürfen so unterschiedliche Baugattungen wie der Jagd- und Gartenpavillon, das herrschaftliche Landhaus, das Bauernhaus und das Wächterhäuschen, die Orangerie und das Gewächshaus, der Kuh- und der Schafstall, die Scheune, überhaupt die Stallung und das Wirtschaftsgebäude, die Fasanerie und das Taubenhaus, die Mühle und die Zisterne, die kleine Holzbrücke über einen Graben, das Badehaus und der Ofen, die Weinkelter und die Schaukel für Kinder. Hinzu kommen zahlreiche Einzelelemente wie die Futterkrippe und die Kochmaschine, die Freitreppe und das Torgitter, die Dachlukarne, die Dachtraufe und das Fenster."
Preis: 15000 EUR